DERBY L*K gg. CHEMIE II

16.3.2008 14 Uhr Zentralstadion


Das letzte Wochenende hatte es in sich. Nach zwei Partys mit intensiv-exzessiver Benutzung der Tanzflächen meinerseits wollte sich Sonntagmorgen beim Anblick grauer Wolken keine Derbystimmung einstellen. Meinen Wecker behandelte ich wie Lok-Hools kleine Ultrakinder und ignorierte ihn nach einer Gewalttat weitesgehend. Trotzdem – just in dem Moment, als Lokis am Lindenauer Busbahnhof zuschlugen – durchstieß ich intuitiv meine Lethargie und riss meine grün-weiße Ikea-Bettdecke von meinem fäulig riechenden Leib. Jetzt hatte ich noch 25 Minuten Zeit, um pünktlich den Südplatz zu erreichen. Da dies mir aussichtslos erschien, bereitete ich mir erst einmal ein Schälchen Heeßen zu, außerdem füllte leckeres Wendl-Brot bestrichen mit Pampe aus zerquetschten Schweinsohren meinen Magen.
Zur Bahn kam ich wie immer zu spät, wegen durchgesagter Fußballrandale am Südplatz sollte auch die Fahrzeit sich verlängern. Am Bayrischen Bahnhof ließ mich ein Sprint Richtung Stadtbibliothek auf den kleinen Chemikermob treffen, der aber noch auf ca. 500 bis zum Westplatz anschwoll.
Nach dem Erreichen der Festwiese, die mich vor dem Spiel eher an den hippiesken NaTo-Cup erinnerte, harrte man ca. 30 Minuten in einem fußballtypisch prolligen Gedränge, bevor man 10 Minuten vor Spielbeginn das weite Rund betrat. Mit Erstaunen erfasste man die geringe Anzahl der Lokfans, die zwar die Stadt sind und die Straßen beherrschen – meistens aber nur wenn die Gegner unter 20 Jahre alt sind; früher waren es Skater und Wiesenpunks, heutzutage sind es Gymnasiasten aus Grünau. Muss man von 1000 Neutralen im Sektor C ausgehen, waren gerade mal 6.600 Lokfans beim Höhepunkt der Saison dabei. Da alle 3 stadtbekannten blau-gelben Akademiker, die sich mit nichtbezahlten Prakticas vor dem Leipziger Hauptbahnhof inmitten der Leipziger Bildungselite fotografierten, mit ihrer Fahne die Kurve im Sektor D füllten, kann man wohl kaum vermuten, dass die Leipziger Restintelligenz auf der Buchmesse ihr Unwesen trieb. Ich gehe einfach davon aus, dass man sich nach der Schmach von Sebnitz nicht nur dem Stimmungsboykott anschloss.
Die erste Rakete – abgefeuert von dem in der 1. Minute ausgewechselten Linksverteidiger des RSL, der zeitgleich spielte – erreichte fast ihr Ziel und schon musste die Metastasen-Fahne im C-Block die ersten braunen Stoßstürmer abhalten. Nach einigen Minuten hatte man auch endlich Pöbelgegner am Zaun der Block- und Kulturentrennung. Es folgte eine mehrminütige Redeschlacht, die von Lokseite u.a. auch mit Würfen unbekannter Gegenstände Richtung Köpfe der Grün-Weißen untersetzt wurde.
Nach ca. 23 Minuten konnte man sich wieder ganz dem eigenen Team widmen und staunte , wie geschickt die Zweite der Ersten von Lok das Leben schwer machte. Trotzdem zolle ich der Loksche meinen Respekt, weil sie eigentlich hätte gewinnen müssen. Die Platzbedingungen erschwerten ihren schön anzusehenden Kombinationsfußball, den ich schon zu DDR-Zeiten bewundert habe.
Zur Halbzeitpause wechselte ich meinen Standort in das Epizentrum der Partychemiker und erlebte wohl die stimmungstechnisch schönste Halbzeit seit der Wende. Lok hatte gar nichts entgegenzusetzen, null, rien, nothing. So mussten die Chemiker - wie in ihrer Kindheit im Sandkasten - allein mit sich zurecht kommen und ohne Gegner das Spiel fankulturell begleiten, wenigstens hier können die Chemiker aus ihrem deprimierenden Leben Vorteile erzielen, man könnte glatt von Wettbewerbsverzerrung sprechen.
Nach dem Spiel ließ man die Mannschaft hochleben, nichtsahnend, dass unsere Kategorie A mit den C´lern aus P. ein Treffen im Sektor B aushalten musste. Polizei und Ordner verhinderten eine Verfolgungsjagd und man machte sich zur Festwiese, die auf den Dämmen von blau-gelben Lauf-, Sauf- und Winkelementen umsäumt wurde. Die C-Gang der Loksche machte noch mal einen Abstecher Richtung Chemie, aber ihr Anführer konnte pausbäckig mit seinen Brunftlauten maximal dafür sorgen, dass zwei schwarzgekleidete Antifa-Leute wegrannten. Weiter wagte man sich aber nicht vor, wie andere Lokis auch, die kaum direkt auf der Festwiese waren. Egal ob es die Blue Caps waren, die nicht angreifen wollten oder die schon mehrmals erwähnten C´ler. Man muss aber Lok zugestehen, derzeit vielleicht wichtigere Probleme in Leipzig zu haben, als Kinder eine Woche vor Ostern zu erschrecken, sogar ausgeblasene grün-weiß gepunktete Ostereier sind widerstandsfähiger. Die „guten“ Hools von Lok waren jedenfalls nicht zu sehen, so dass nur ihnen mein Respekt gehört, da sie es im Gegensatz zur Nazihoolfraktion richtig einschätzten, dass Chemie nie ein Gegner war und nie ein Gegner sein wird, obwohl Chemie gegen Chemnitz mal 200 gute Leute stellte, die man beim Match Lok gg. Chemnitz auf Leipziger Seite zu meinem Leidwesen nicht erblicken konnte.

Beruhigt ging man Richtung Südplatz, wo der Hunger einen nach Hause lockte und die Müdigkeit ins Bett zerrte. Mit dem Wissen, ein neues Spiel in seine persönliche Top Ten aufnehmen zu können, schlief man unter der Chemie-Bettdecke den Schlaf der Gerechten, natürlich ohne sich zu waschen, geschweige denn die letzten verbliebenen Zähne zu putzen - the daily procedure since 1967, das Geburtsjahr von mir und das "Meister"jahr Israels.