Ein Fußballreferat

gehalten auf dem Chemie Leipzig Fanbockplenum

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5:0 oder 0:5, das Match kannst Du, wenn Du Fußballfan bist, mitentscheiden - sozusagen ein interaktiver Text, nach dessen Lektüre Du weiterschlafen kannst.
Oder solltest Du vielleicht doch wach bleiben, weil es Dein Spiel, Dein Leben, ist?

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links vs. rechts

Das Fußballspiel und dessen Umfeld ist nicht unpolitisch. Von Anfang an gab es politische Bezugsmomente, die vor allem die individuelle Freiheit sowie die soziale Gleichheit berücksichtigten. Spielte man Ende des 19. Jahrhunderst, zunächst in England, wild auf Plätzen, war sofort der Ordnungsbüttel da, um dem sogenannten Pöbel die Manieren beizubringen, die sich die Herrschenden zur damaligen Zeit vorstellten. Als das „gesellschaftliche Übel“ Fußball aus dem marginalisierten Dasein ausbrach, mußten die Herrschenden Kontrollmechanismen finden, um den Pöbel in seine „zugewiesene“ gesellschaftliche Rolle zurückzudrängen.
Das Fußballspiel an sich wurde geboren. Mit einem strengen Regelwerk ausgestattet und in einem kontrollierten Raum - dem Stadion - ausgetragen, machte sich das Fußballspiel auf, die Welt der industriellen Revolution zu erobern. In den Metropolen angekommen, nahmen sich die dort Herrschenden sofort dem Fußball an. Einerseits zeigte der Fußballsport das Aufbrechen kultureller Unterschiede zwischen den Nationskonstrukten - der „Pöbel“ war eben überall -, andererseits konnte durch den Fußball Macht erhalten, indem man die nationalitätsfördernde Komponente in den Vordergrund stellte, deren hochbrisante politische Bedeutung bis in die Gegenwart hinein zu spüren ist - angemerkt sei hier der sogenannte „Fußballkrieg“ 1969 zwischen Honduras und El Salvador.
In Deutschland gewann der Fußball erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg gesellschaftliche Bedeutung. Mit dem WM-Sieg von 1954 konnte die Schlappe des Krieges zumindestens zeitweise verdrängt werden. Das „Man ist wieder wer“-Gefühl überwand das Nachkriegstrauma vieler Deutscher, man war wieder stolz Deutscher zu sein. Nationalisten versuchten nun verstärkt, das Fußballumfeld für ihre politischen Ziele zu mißbrauchen. Mit der wachsenden Bedeutung von Klubmannschaften nach der Gründung einer Bundesliga nisteten sich diese gezielt in die Bundesligastadien ein und bestimmten mindestens ein Jahrzehnt - Mitte Siebziger bis Mitte Achtziger - die politische Fraktion der Fanszene.
„Borussenfront“ Dortmund, „Antisozialfront“ Offenbach oder die „Adlerfront“ Frankfurt - hinter diesen Namen machten rechtsradikale Fußballfans Schlagzeilen, die das Fandasein in Deutschland im besonderen charkterisierte. Während in anderen Ländern Europas viele linke Fußballfanszenen existierten - AC Mailand, Manchester United, FC Barcelona, Celtic Glasgow - gab es in Deutschland keinen einzigen linken Fußballklub. Erst mit dem Erwachen des FC St. Pauli als subkultureller Fußballverein der Marginalisierten bildete sich eine antifaschistische Fanszene heraus, die bis heute einmalig in Deutschland ist.
Anderen Fußballvereinen gesellten sich linke Fußballinitiativen zu, deren Produkt meistens ein Fußballfanzine ist, von Bedeutung sind aber die Fußballinis nur bei Schalke 04, Fortuna Düsseldorf (mit prominenter Unterstützung der „Toten Hosen“), beim 1. FC Köln und hoffentlich auch bald bei Chemie Leipzig. Gerade beim letzgenannten tummeln sich derzeit Faschisten und Rassisten übelster Coleur. Der Nordwesten Leipzigs gilt derzeit als eine Hochburg der organisierten Faschisten im Osten Deutschlands. Die geografische Nähe zu Leutzsch, der Heimat von Chemie, kann verheerende Auswirkungen auf die politische Standortbestimmung vieler Fans haben. Muß man 95% der Fans sowieso unterstellen, national und rassistisch zu „denken“, kann ein organisiertes Handeln dieser unter Führung von Nazikadern u. U. das Kippen des subkulturellen Klimas in Leipzig bedeuten. Deshalb versucht ein linkes „Chemie Leipzig“-Fanblockplenum diesem Faschopack entgegenzutreten, mit dem Anspruch, fankulturelle Arbeit mit konsequent antifaschistischer Politik zu leisten. Diesem Plenum zu unterstellen, Politik in die Fanszene hineinzutragen, muß entgegengehalten werden, daß der Fußballsport nie unpolitisch war und nie sein wird, was auch die körperlichen Übergriffe von Faschos auf „Zecken“ beim letzten Auswärtsspiel von Chemie Leipzig in Erfurt belegten.

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Chemie vs. VfB

Um es gleich vorwegzunehmen, der VfB ist nicht der Faschoverein von Leipzig, vielmehr ist dieser Verein ein mediales Kunstprodukt der herrschenden Elite im Regierungsbezirk Leipzig, um den Standort Leipzig bundesweit ins Gespräch zu bringen - daß das müde Gekicke eher imageschädigend für Leipzig ist (vor allem der Bundesligaabstieg), ist auch dem Fußballproll leicht zu vermitteln. Beim VfB gibt es auch nicht soviele Nazikader wie beim Ortsrivalen Chemie, vielmehr wollen sich viele „Fans“ des VfB die durchaus beachtlichen Leistungen (trotz o.g. Verisses) für ihr eigenes Leben zu eigen machen, im Prinzip als eingebildeter Lebensersatz. Einzigartig an diesem Verein war die nun fast aufgelöste Hooliganszene, die immerhin ca. 400 Mann ausmachte, worunter sich aber nur 100 ernstzunehmende Hooligans befanden. Das darunter auch viele Chemiker, Ex-Hausbesetzer, Skinheads sowie Hardcorer zu finden waren, zeigt, daß männliche Gewalt überall vorhanden ist. Der VfB wurde als Aushängeschild von Leipzig gesehen, man war selbst Leipziger, also drosch man auf Hools anderer Städte ein. Immerhin waren die Leipziger im Osten hinter dem BFC-Mob die Nr.2. Bei Chemie dagegen gab es keine ausgeprägte Hoolszene.
War man dort froh, in den ersten Jahren der Regionalliga bei Heimspielen überhaupt mehr als 2.000 Zuschauer begrüßen zu dürfen, entwickelte sich in der potentiellen Aufstiegssaison 1994/95 eine Fanszene, die man nur beim alljährlich ausgetragenen Hallenmasters erahnen konnte. Bis zu 5.000 Chemiefans begleiteten ihre „Schämie“ bei Auswärtsspielen. Es gab regelmäßig Randale, die an Verhältnisse zu DDR-Zeiten erinnerte, als Hunderte Chemiefans sich mit der Volkspolizei und teilweise mit Armeeeinheiten auseinandersetzten. Hooligans, die Anfang der Neunziger beim VfB engagiert waren, wanderten zu ihrem Lieblingsverein zurück und konnten erste Anfangserfolge erzielen. Die Fanszene dagegen lag nach dem Nichtaufstieg am Boden. Ein einheitlicher Fanblock, der auch bei schwachen Vorstellungen der Mannschaft diese anfeuern kann, fehlt bis heute. Da das große Fanpotential aber objektiv da ist - siehe Hallenmasters -, wird die Saison 1997/98, die ja wieder mal eine Aufstiegssaison darstellt, Fans in Scharen anziehen. Wer bis dahin den Chemifanblock für sich vereinnahmen kann, wird es auch in Zukunft leichter haben. Für linke Chemiefans ist es also ein Muß, Spielen wie gegen den FSV Velten beizuwohnen, um fankulturelle Akzente zu setzen, die die Faschos garantiert nicht drauf haben.
Was hat das alles mit dem VfB zu tun?
Gegenfrage: Was hat der VfB mit Fankultur zu tun?

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life vs. live

Was gibt es Schöneres für einen Fußballfan als eine Auswärtsfahrt mit Gleichgesinnten? Eigentlich nichts. Die Auswärtsfahrt, der zweiwöchentliche Lebenshöhepunkt, beinhaltet alles,was zwischen den zwei Wochen unmöglich erscheint. Als männerbündische Bierfahrt erlebt man Skurrilitäten, Einmaliges, einfach alles, was im Fernsehen von tausenden Schauspielern vor-, wohl eher nachgespielt wird. Ob homosexuelle Ausschweifungen, Massenrandale, Komasaufen oder Knast, nichts bleibt ausgespart, um eine Auswärtsfahrt als kostenloses Erlebnis zu inszenieren. Andere müssen in Disneylands, Jurassicparks u.a. mehrere Hundert Mark blechen, beim Fußball ist beinahe alles kostenlos. So wurde Fußball ein Ereignisfeld der Marginalisierten, der „underdogs“, der Proleten, aber auch der freizügigen Oberschicht und deren Jünglinge, die die sogenannte intelligente Fanszene bilden. Das scheint nun durch die mediale Vermarktung in Gefahr.
In pseudosportlichen Wettbewerben wie der Championsleague scheffeln Vereine wie der FC Bayern München oder Borussia Dortmund massig Kohle, um sich auf nationaler Ebene als die zwei großen Kontrahenten zu präsentieren, schließlich verdient man durch das Merchandising-Geschäft ebenfalls einen Batzen Geld, und wie kann man dieses Geschäft besser ankurbeln als durch die Inszenierung von zwei Gegnern, die sich scheinbar ewig bekriegen. Diese sportliche Wettbewerbsverzerrung, verursacht durch die mediale Omnipräsenz dieser zwei Vereine, ist für viele Vereinsführungen Anlaß, Anschluß an diese Megavereine zu finden. Da die Gelder, die durch Fernsehübertragungen erwirtschaftet werden bei weitem die Zuschauereinnahmen übersteigen, kommt es zu gravierenden Einschnitten in die Fankultur. Montagsspiele, Dienstagsspiele, Stadionverlegungen, Stadionneubauten u.v.m. lassen die Verwirklichung selbstbestimmter Fankultur scheitern. Das Fußballfandasein wird überflüssig, es sei denn, man wird als Fußballfan zum Imageträger, um Merchandisingartikel zielgruppengerecht vermarkten zu können - z.B. nach dem Motto: Alle linken Fernsehfußballzuschauer haben sich gefälligst einen FC St. Pauli-Schal zu kaufen.

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Steh vs. Sitz

England hat es vorgemacht, die Umwandlung der Fußballstadien in reine Sitzplatzstadien, die Euro '96 setzte europäische Maßstäbe. Um den Pöbel aus dem Stadion, abgeschreckt durch die hohen Eintrittsgelder, zu entfernen und sich zahlungskräftigeren Schichten zuzuwenden, paßt man die Stadien diesem Konzept an, indem man billige Stehplätze abbaut und das gesamte Stadion mit Sitz- und Logenplätzen harmonisiert. Der Pöbel, der die mediale Inszenierung stören kann, bleibt draußen. Scheinerfolge wie beim FC St. Pauli, wo 19.000 Stehplätze beim Stadionneubau vorgesehen sind, um eine Klatschkulisse - ähnlich der beim SAT 1-Glücksrad - aufzuweisen, dürfen über die Richtung, wie es in der Branche Erlebnispark, Abtlg. Fußball, weitergeht, nicht hinwegtäuschen. Klatschkasper als Geräuschkulisse braucht jeder Verein, schließlich will sich der Pantoffelfernsehzuschauer wie im richtigen Stadion fühlen, nur so funktioniert auch die mediale Vermarktung des Fußballs. Anders als beim Basketball, wo minütlich der Korb getroffen wird, ist doch das Fußballspiel für Nichtkenner ein langweiliger Sport, an deren Einschaltung sind die Fernsehkonzerne jedoch interessiert, lassen sich so die Werbeeinnahmen beträchtlich steigern bzw. Abonnements verkaufen. Deshalb kann es durchaus dazu kommen, daß der Eintrittspreis stagnieren wird, um wirklich genügend Klatschkasper im Stadion zu haben. Allerdings wird der Sicherheitsaufwand mit der Aussortierung des namentlich erfaßten Pöbels erheblich vergrößert, der gläserne Fußballfan wird der zukünftige Stadionbesucher sein.

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american way of life vs. Deutschtümelei

Vor der Amerikanisierung des Fußballs warnte ein besorgter Autor in dem Chemie Leipzig-Fanzine „Melk die fette Katze“. Warum in diesem Fanzine die Deutschtümelei vieler Fans, mit dem damit verbundenen Rassismus, noch nie angeprangert wurde, bleibt des Autors Geheimnis. Warum ausgerechnet die Fans des linken Vereines FC St. Pauli die Heimatliebe übertreiben, bleibt der Fans Geheimnis.
Leider gibt es auch in Leipzig-Leutzsch Ansätze von Heimattümelei. Als „Tag der Leutzscher“ darf man sich das unterklassige Gekicke von zwei in Leutzsch beheimateten Vereinen sowie das Geklampfe von Zonenbands reinziehen.
Aber es gibt auch die andere Seite der Chemiefans, die archaische, die widerspenstige, die des Ungehorsams. Leider zeigte sich diese zu DDR-Zeiten von rechter Polemik, doch wurde sie m. E. als Provokation gegen den Scheinanspruch der DDR als Arbeiter- und Bauernstaat verwandt, ohne über rassistisches Gedankengut hinwegschweigen zu wollen.
Festzuhalten bleibt, daß in Leutzsch Ordnungs- und Machtansprüche von der Fanszene bekämpft wurden, ob willentlich oder nicht, sei dahingestellt. Ich kann mir eher vorstellen, daß Chemiefans Polizisten angreifen als Skater und Punker zu „klatschen“, wie es regelmäßig nach VfB-Heimspielen von VfB-Hooligans praktiziert wird. Und das macht für mich den „american way of life“ aus, jeder soll das machen, wozu er Lust hat, ohne andere dabei in Mitleidenschaft zu ziehen. Kulturelle Überfremdungsängste, das Aufbauschen eines sogenannten Ost-West-Konfliktes wie auf Seiten vieler VfB-Fans, sind bei Chemiefans nur marginal zu verorten, Chemiefans sind sogar in großer Anzahl beim American Football in Grünau anzutreffen. Das mag den Autor, der in der „Melk die fette Katze“ vor der Amerikanisierung warnte, verdrießen, ich finde das allerdings als einen akzeptablen Ansatz, sich für Neues zu begeistern und von altem abzuwenden. Es darf keinen Kollektivzwang geben, ewig treu dem Chemie Leipzig-Gekicke hinterherzurennen. Entscheidend ist, wo die bessere Party steigt, that's the american way of life.

Schlußbemerkung

Es ist klar, was man als linker Fußballfan tun muß. Man geht zu Chemie Leipzig, drängt dort die Faschokader aus dem Stadion zu ihrer Pioniereisenbahn in Leipzig-Wahren, nimmt an den Parties teil, indem man kräftig im Fanblock mitmischt, um evtl. noch vorhandene rassistische Gesänge zu überstimmen.
Der VfB ist nur dann von Interesse, wenn die Kinderhooligans des VfB versuchen, die Innenstadt von Skatern und Punker zu säubern, da stellt man sich entgegen. Aber sonst ist der VfB ein weiterer langweiliger Verein, dem man wie Bayer Uerdingen oder dem SV Meppen oder der Spvgg. Unterhaching oder fast allen Vereinen in Deutschland nicht den Aufstieg gönnt. Langfristig werden die richtigen Fußballfans sowieso dorthin gehen, wo die Auswärtsfahrt am lustigsten, die „Paadie“ am schönsten sowie der Bekanntschaftskreis am größten ist. Und u. U. muß dieser Ort nicht das Fußballstadion sein – in Connewitzer Clubs sind immer öfter Fußballfans anzutreffen. Michael v. K.